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Vollversammlung: Handwerk braucht politischen und gesellschaftlichen Rückenwind

Lübeck, 5. Dezember 2023 - Bürokratie-Irrsinn und ‚Aufschieberitis‘: Bei der Vollversammlung der Handwerkskammer Lübeck forderten Gastredner Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks (ZDH), und Kammer-Präsident Ralf Stamer, dass die Politik endlich ins Handeln komme.

ZDH-Präsident Jörg Dittrich machte vor dem Hintergrund des aktuellen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Bundeshaushalt klar, dass Investitionen in die Zukunft nicht zur Debatte stehen dürften: „Dass Geld eine endliche Ressource ist und nicht alles gleichzeitig geht, das dürfte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nun auch dem Letzten klar sein. Es müssen Prioritäten gesetzt werden und dabei müssen Zukunftsinvestitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung in jedem Fall Vorrang haben! Nur dann lassen sich der Sozialstaat und alles andere finanzieren.“

Vor den Vertretern des regionalen Handwerks bemängelte Jörg Dittrich vor allem den fehlenden Willen der Politik, ins Handeln zu kommen. „Aufschieben und Vertagen von politisch notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen sind angesichts abschmelzender Auftragspolster bei den Betrieben, einer ungewissen konjunkturellen Entwicklung und eines großen politischen Reformstaus in vielen Bereichen keine Option mehr. Die von den Regierungsparteien praktizierte ‚Aufschieberitis‘, nötige Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben oder durch Scheinlösungen wie beispielsweise Sonderfonds zeitlich hinauszuzögern, ist mit dem Urteil aus Karlsruhe endgültig an ihre Grenzen gekommen. Der Handlungsdruck ist viel zu hoch, als dass die Regierung mit diesem Politikstil des Aufschiebens weitermachen kann: Sie muss endlich handeln!“

Auch ein „Bürokratie-Irrsinn“ belaste die Betriebe und koste sie Milliarden, so Dittrich weiter. „Das ist inakzeptabel. Unser Vorschlag von 'Praxis-Checks' ist im Wirtschaftsministerium aufgegriffen und eingeführt worden: Künftig muss dort für jedes neue Gesetz geprüft werden, was es für die Betriebe bedeutet. Im Kabinett finden sich hoffentlich bald Nachahmer und folgen andere Ressorts dem Beispiel. Die Dringlichkeit des Bürokratieabbaus darf nicht länger ignoriert werden. Schon jetzt erweist sich die überbordende Bürokratie als Wachstumsbremse. Wir erwarten daher, dass das angekündigte Bürokratieentlastungsgesetz jetzt tatsächlich rasch kommt und noch Verbesserungen gegenüber den bislang bekannten Eckpunkten bringt: Denn die bleiben hinter den Erwartungen des Handwerks zurück. Um aber bürokratische Wachstumsfesseln zu lösen, muss Bürokratie deutlich entschlossener als bisher abgebaut werden.“

Über die Lage des Handwerks, die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt und Projekte und Initiativen der Kammer informierte Kammer-Präsident Ralf Stamer. Er forderte mit Nachdruck mehr Verlässlichkeit der politisch Handelnden. „Handwerksbetriebe benötigen für ihre unternehmerischen Entscheidungen Planungssicherheit. Daran mangelt es oft“, so Stamer. Oft seien Betriebe mit langen Bearbeitungszeiten und vermeidbaren Klärungsbedarf bei Verwaltungsvorgängen konfrontiert. Als Beispiel nannte er das hohe Engagement des Handwerks bei der Integration von Geflüchteten auf der einen Seite und das teils uneinheitliche, restriktive und langsame Vorgehen vieler Ausländerbehörden auf der anderen Seite. „So kann Integration und Fachkräftesicherung nicht gelingen. Wir brauchen hier mehr Koordination und mehr Tempo“, sagte Stamer.

Mit Erleichterung reagierte Ralf Stamer auf die Entwicklung der Ausbildungszahlen im Kammerbezirk. In diesem Jahr haben sich bis Ende November 4.224 Schulabgängerinnen und Schulabgänger für einen Handwerksberuf im Kammerbezirk Lübeck entschieden. Im Vergleich zum selben Zeitpunkt im Jahr 2022 registriert die Kammer damit ein leichtes Plus von 34 Lehrverträgen. „Das große Ausbildungsengagement der Betriebe und die vielfältigen Initiativen zur Nachwuchsgewinnung der Kammer haben sich ausgezahlt. Und dennoch lässt sich nicht ausblenden, dass wir noch deutlich mehr junge Menschen ausbilden könnten und wollen, uns aber nach wie vor die Bewerberinnen und Bewerber fehlen. Dadurch bleiben zu viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Jeder dieser unbesetzten Ausbildungsplätze steht für eine Fachkraft, die in ein paar Jahren zusätzlich fehlt. Und das ist eine Entwicklung, die der gesamten Gesellschaft große Sorgen machen sollte“, so Stamer.

Stamer forderte mehr Wertschätzung des Handwerks durch Politik und Gesellschaft. „Inzwischen haben viele erkannt, dass sich große gesellschaftliche Aufgaben wie die Energiewende nur mit dem Handwerk lösen lassen. Und trotzdem hat das aber noch nicht zu mehr Wertschätzung für die berufliche Bildung geführt. Hier brauchen wir viel mehr Rückenwind. Die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten im Handwerk müssen endlich gleichwertig zu anderen Berufswegen, besonders den akademischen, dargestellt werden.“

Thema der Vollversammlung war auch das geplante Bauvorhaben „Trave-Campus“ der Handwerkskammer Lübeck. Ralf Stamer informierte die Mitglieder der Vollversammlung über den Sachstand. Derzeit ermittelt ein vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) eingesetzter Gutachter die Kosten für die Realisierung des Vorhabens in vollem Umfang (großer Trave-Campus), wenn man ihn an einen oder mehrere Totalunternehmer vergeben würde. Das Gutachten dazu wird noch in diesem Monat erwartet. „Wenn wir wissen, was die Totalunternehmervergabe kostet, werden wir die Gespräche mit Bund und Land suchen, um zu klären, ob uns die Fördermittel zur Verfügung gestellt werden“, benannte Stamer die Aufgaben der nächsten Monate.

Kontakt

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